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29.10.2021

PROdigitalTV kompakt: Barrierefreiheit in den Medien wird Gesetz – und bedeutet gesellschaftliche Teilhabe

Der 2020 in Kraft getretene Medienstaatsvertrag fordert den Ausbau der Barrierefreiheit in allen Rundfunk- und Telemedien


Der 2020 in Kraft getretene Medienstaatsvertrag fordert den Ausbau der Barrierefreiheit in allen Rundfunk- und Telemedien – nicht nur für öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender und Video-on-Demand-Anbieter, sondern mit dem kommenden Medienänderungsstaatsvertrag auch Zugangsportale. Wenn der barrierefreie Zugang zu Medienangeboten Pflicht ist – was ändert sich dann für Anbieter und Provider? PROdigitalTV kompakt gab Auskunft.

Hamburg, den 26. Oktober 2021. PROdigitalTV ließ am 21.10. auf seiner Online-Veranstaltung PROdigitalTV kompakt durch Branchenexpertinnen und -Experten  die zugehörigen Fakten erläutern. Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, ist innerhalb der Medienanstalten für rechtlichen Vorgaben und die Umsetzung der Barrierefreiheit zuständig und setzt sich für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen ein. Stephan Kalesse ist Geschäftsführer von No Limits Media, einem führenden Unternehmen für Untertitelung, Audiodeskription und Live-Transkription in Deutschland, und Experte für entsprechende Assistenzsysteme. 

Gesetzliche Richtlinien und gesellschaftliche Verantwortung

Übergeordnetes Ziel der neuen gesetzlichen Regelung ist es, Menschen mit eingeschränkter Hör- und Sehfähigkeit, aber auch Personen mit Lernschwächen, mit partiellen oder situativen Einschränkungen oder geringen Kenntnissen der Landessprache, den Zugang zu Medieninhalten gleichberechtigt zu ermöglichen – und in absehbarer Zeit sogar zu gewährleisten. Seit 2013 führen die Landesmedienanstalten regelmäßige Monitorings durch, um die Quote untertitelter Sendungen bei den Privaten zu erheben. Im Mittelpunkt stehen dabei v.a. Primetime-Sendungen mit starkem Zuschauerinteresse, da sich das Mediennutzungsverhalten von Menschen mit Behinderungen laut einer Studie der TU Dortmund nicht wesentlich von dem uneingeschränkter Personen unterscheidet.

Dabei wird deutlich, dass die Personengruppe mit Einschränkungen in Deutschland gesamt betrachtet eine nicht unerhebliche Größe umfasst: So gibt es nach Angaben des Deutsche Gehörlosenbundes 16 Mio. schwerhörige und ca. 80.000 gehörlose Personen. Unter leichteren Sehbehinderungen leiden ca. 19 % der Bevölkerung, 3,2 % haben starke Einschränkungen. 35,8 % aller Schüler benötigen in Deutschland sonderpädagogischen Förderbedarf, erläutert Stephan Kalesse von No Limits Media. 

Behinderung ist ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft

Auch wenn die Einschränkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, ist der barrierefreie Zugang zu Medien ein entscheidender Baustein zur Meinungsbildung. „Barrierefreie Medien sind ein wesentlicher Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Nur wer sieht und hört, worüber in den Medien diskutiert wird, kann sich auch am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen“, konstatiert Cornelia Holsten. Das 8. Monitoring Barrierefreiheit der Medienanstalten zeige, dass es hier immer noch Nachholbedarf gebe, auch wenn sich z.B. die Quote der Untertitelung bereits deutlich erhöht habe. 

Unter die Programmanbieter, die vom Monitoring Barrierefreiheit umfasst werden, fallen neben den beiden großen privaten Anbieterfamilien RTL und PRO7SAT.1 seit 2016 auch kleinere Sender mit einem Marktanteil ab 1 %. Ab 2021 sind erstmals auch drei Streamingplattformen mit im Boot. Seit dem letzten Medienstaatsvertrag gelten Vorgaben zur Barrierefreiheit jedoch auch für Sender mit geringerem Marktanteil – allerdings „im Rahmen der Zumutbarkeit“ bezogen auf Kapazitäten und Kosten. Neu ist, dass künftig auch Anbieter von Benutzeroberflächen, die den Zugang zu audiovisuellen Diensten ermöglichen, zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.

Die neuen Rechtsgrundlagen für die Barrierefreiheit in § 7 MStV umfassen die Erweiterung bestehenden Engagements sowie „im Rahmen der technischen und … finanziellen Möglichkeiten neue barrierefreie Angebote aufzunehmen und …stetig und schrittweise auszuweiten“. Alle drei Jahre müssen die Veranstalter an ihre jeweiligen Aufsichtsgremien Bericht erstatten; diese Angaben werden der Europäischen Kommission übermittelt. Fazit: Wer sich nicht um Barrierefreiheit kümmert, obwohl es ihm zumutbar wäre, handelt ordnungswidrig.

Anforderungen an Assistenzsysteme und -Lösungen

Zu den Anforderungen an die Umsetzung der Barrierefreiheit gehören Untertitelung für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit und Audiodeskription für Personen mit eingeschränkter Sehfähigkeit; Gebärdensprache sowie die Übersetzung in Leichte Sprache. Erst die Umsetzung aller dieser Punkte definiere Barrierefreiheit in den Medien, so Stephan Kalesse. Dabei sei z.B. Untertitelung nicht mit reiner Textübersetzung gleichzusetzen, da auch Geräusche, Musik und Klangstimmungen beschrieben werden müssten. Bislang gibt es laut Kalesse hier noch keine Softwarelösungen, die diese Anforderungen umsetzen könnten. Auch bei der Audiodeskription, also der Beschreibung der Bilder für Blinde, sei es erforderlich, mit geschulten Autorinnen und Autoren sowie mit Blinden zusammenzuarbeiten, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Gebärdensprache ist in Deutschland als eigene Sprache anerkannt, aber derzeit ein eher kleiner Markt mit ca. 200.000 Menschen, die sie beherrschen. Hemmnisse seien neben hohen technischen Produktionskosten auch die Tatsache, dass es zu wenig ausgebildete gebärdensprachliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher gäbe, so Kalesse. Auch die sog. Leichte Sprache als Methode der Barrierefreiheit sei deutlich ausbaufähig.

Für Medienanbieter empfiehlt Kalesse, die Barrierefreiheit schrittweise einzuführen: 10 – 20 % der Nettosendezeit sollte im ersten Schritt mit Untertitelung für Hörgeschädigte ausgestattet werden. Danach folge die Audiodeskription und der Ausbau der Untertitel, Leichte Sprache folgt im 3. und Gebärdensprache im 4. Schritt. Damit übernehme man gesellschaftliche Verantwortung und verhindere als Unternehmen, den Anschluss an den Wettbewerb zu verlieren. Mit einer guten Lösung für Barrierefreiheit ließen sich auch neue Zielgruppen gewinnen. Sicher ist: Bis zum 19.12.2022 müssen Medienunterunternehmen die geforderte Barrierefreiheit umsetzen, ansonsten drohen Bußgelder.

Die Veranstaltung kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.prodigitaltv.de/veranstaltungen/53/PROdigitalTV_kompakt_Barrierefreiheit_in_den_Medien_Do_21_10_2021_10_00_Uhr.html

Über PROdigitalTV: PROdigitalTV - Interessengemeinschaft Digitale Medien e.V. - ist ein Zusammenschluss unabhängiger Unternehmen der digitalen Medienwirtschaft. Ziel von PROdigitalTV ist die Interessensvertretung und der Dialog zwischen digitalen TV-Sendern, Plattformbetreibern, Geräteherstellern, Händlern sowie Vertretern der Medienpolitik. Das PROdigitalTV Medienfrühstück stellt aktuelle Trends und Entwicklungen der Medienindustrie vor und bietet Unternehmensvertretern Gelegenheit zum Business Networking in einem kleinen Expertenkreis.

 

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